Muss Schulentwicklung tatsächlich evidenzbasiert geschehen?

Muss Schulentwicklung tatsächlich evidenzbasiert geschehen?

Einsprüche gegen das vorherrschende Bildungsverständnis bei SQA (Schulqualität Allgemeinbildung)



„Jedes Erziehungssystem ist eine politische Methode,
die Aneignung der Diskurse mitsamt ihrem Wissen und
ihrer Macht aufrechtzuerhalten oder zu verändern.“
(Foucault 2007, S. 30)

„SQA – Schulqualität Allgemeinbildung“ ist das pädagogische Qualitätsmanagementsystem des BMBWF, das seit 2012/13 an allen österreichischen Schulstandorten zur verpflichtenden Schulentwicklung verordnet wurde. Ziel des Ministeriums ist es durch pädagogische Qualitätsentwicklung und Qualitätssicherung zu bestmöglichen Lernbedingungen für Schüler/innen an allgemein bildenden Schulen beizutragen (vgl. SQA 2016a), wobei seit 2016/17 die Rahmenzielvorgabe der Sektion I des Bildungsministeriums lautet: „Weiterentwicklung des Lernens und Lehrens an allgemein bildenden Schulen in Richtung Individualisierung, Kompetenzorientierung und inklusiver Settings.“ (BMB 2016).
Nach einer verpflichteten Auseinandersetzung mit Daten und Ergebnissen von Tests - die 2012 noch alle aus dem „Bundesinstitut für Bildungsforschung, Innovation und Entwicklung des Bildungswesens“ (BIFIE) kamen - konnte jeder Schulstandort im Schuljahr 2013/14 zwei Schwerpunkte frei aus einem vorgegebenen Katalog für die Schulentwicklung am eigenen Schulstandort wählen. Seit dem Schuljahr 2016/17 werden nun verpflichtend Ergebnisse aus Bildungsstandards-Überprüfungen (4. und 8. Schulstufe; VS, NMS, AHS), Ergebnisse der Reifeprüfung (AHS) und Ergebnisse des SLS (Salzburger Lesescreening; 3. & 5. Schulstufe; VS, NMS, AHS)  herangezogen und ausgewertet (vgl. BMB 2016). Auch der „Bildungsexperte“ Thilo Sarrazin weiß in diesem Zusammenhang, wie bessere Ergebnisse eventuell kostengünstig zu bewerkstelligen sind: „Die weit verbreitete Annahme, höhere Bildungsausgaben würden das Bildungsergebnis von ganz alleine verbessern, wird leider weder national noch international gestützt. Die Art der Unterrichtspläne, die Qualität der Schulorganisation, die Ausbildung und Motivation der Lehrer, die Qualitätskontrolle und der Wettbewerb im Bildungssystem spielen aus meiner Sicht die entscheidende Rolle“ (Sarrazin 2010, S.214). Sarrazin, der hinsichtlich „schlechter“ PISA-Ergebnisse Deutschlands an anderer Stelle mit blankem Rassismus den „ständig wachsenden Anteil bildungsferner Schichten und muslimischer Migranten unter den Kindern“ (Sarrazin 2010, S. 245 – meine Hervorhebung) ausmacht, weiß wo die Daumenschrauben angelegt werden müssen, damit alle Schüler/innen endlich besser bei Tests abschneiden: Qualitätskontrolle und Wettbewerb an Schulstandorten, die motivierte Lehrer/innen als Personal führen. Dieser Vorstellung nicht unähnlich, wird bei SQA evidenzbasiert aus defizitorientierter Perspektive an jedem Schulstandort jedes Bundeslands Österreichs ermittelt, was die Schüler/innen nicht können und wozu sie nicht fähig sind, denn  „[…] nationale und internationale Untersuchungen zeigen […], dass Österreich große Anstrengungen unternehmen muss, um die Grundkompetenzen bei allen Schüler/inne/n abzusichern“ (SQA 2016a, oA).

SQA in Wien

In Wien beherrschen Kinder und Jugendliche an APS-Schulen Sprachen in Wort und Schrift nicht, muss die Erkenntnis nach Analyse der Testergebnisse 2016 gewesen sein, denn seit  dem Schuljahr 2016/17 muss „Sprachliche Bildung“ (womit vorwiegend „Deutsch“ gemeint ist) als verpflichtendes Thema für SQA in ganz Wien gewählt werden; erst das zweite Thema, das in Kombination gewählt wird, darf am Schulstandort in Absprache mit der Pflichtschulinspektor/dem Pflichtschulinspektor des Inspektionsbezirks gewählt werden.[1]
Das Qualitätsmanagementsystem weiß also was gut für jeden Schulstandort ist, und der Schulstandort hat zu gehorchen. Deutlich sichtbar wird hier die eingangs mit Foucault erörterte „politische Methode, die Aneignung der Diskurse mitsamt ihrem Wissen und ihrer Macht aufrechtzuerhalten“, (Foucault 2007, S. 30). Mit SQA werden Lehrer/innen und ihre Schüler/innen kompetent unterworfen: Angesichts der Rahmenzielvorgabe von SQA, die sich um die „Weiterentwicklung des Lernens und Lehrens an allgemein bildenden Schulen in Richtung Individualisierung (...) “ müht, ist hier übrigens kein kompetenter Umgang mit der Wertschätzung der Individualisierung als Organisationsform des Unterrichts zu erkennen, wenn alle Schulstandorte eines Bundeslands mit ihren Ergebnissen über einen Kamm geschoren werden. Egal wie gut oder wie schlecht die Testergebnisse am einzelnen Wiener Schulstandort waren: „Sprachliche Bildung“ ist (und bleibt vorerst) für die gesamte Bundeshauptstadt Pflichtprogramm von SQA an jedem Standort.

Schule der Stadt Wien

Zwei Lehrkräfte am Schulstandort werden zu designierten SQA-Schulkoordinator/innen erkoren, die mit 532,72 € brutto schuljährlich vergütet bzw. „motiviert“ (altes Dienstrecht, Stand Dezember 2017), die eigentliche Hauptarbeit machen: Mit dem Lehrerkollegium abgestimmt, koordinieren sie die Projektarbeit für die zwei Themen. Diese SQA-Schulkoordinator/innen haben „[…] die Bereitschaft zu führen – und sich in einem definierten Rahmen führen zu lassen […]“; sie verfügen über „ […] eine reflexive Grundhaltung, den Mut hinzuschauen, die Wirkungen eigenen Handelns zu überprüfen […]“ und über „[…] die Bereitschaft zu Dialog und Teamarbeit, zu gemeinsamer Analyse, Zielsetzung, Planung und Umsetzung von Vorhaben“ (SQAa 2016, oA), denn sie müssen nun die angeordnete Verpflichtung zur Zusammenarbeit von Lehrer/innen durchsetzen. Basierend auf Erkenntnissen zu „Rückblick & Ist-Stand“ (SQAa 2016, oA) werden von SQA-Schulkoordinator/innen für jedes der zwei Themen verschiedene „Zielbilder“ entwickelt, die mit „Zielen & Maßnahmen“ für das kommende Schuljahr ausgestattet werden. Jedes Ziel hat ein bis vier „Maßnahmen“ jeweils zugeordnet zu den folgenden Kategorien: 1) Zeithorizont, 2) Verantwortlichkeitsnennung, 3) Indikator(en) und 4) Beschreibung der Überprüfung. Diese Beschreibung wird begleitet von einem Plan für Fortbildung und einer Personalentwicklungsplanung.

Mal abgesehen von diesem hohen bürokratischen Aufwand, der von den Lehrer/innen und Schulleiter/innen jährlich betrieben werden muss, damit Entwicklung an jedem Schulstandort in den Augen des Qualitätsmanagementsystems geschieht, liegt die Crux in einem m.E. entscheidenden Punkt: Ist es für Lehrer/innen als Pädagog/innen mit ihrem berufsethischen Verständnis tatsächlich vertretbar, dass im Rückschluss das Ziel von SQA als Schulentwicklung (weil eben evidenzbasiert) im Grunde genommen nur darin liegt, „bessere“ Ergebnisse bei Bildungsstandards-Überprüfungen (4. und 8. Schulstufe; VS, NMS, AHS), der Reifeprüfung (AHS) und beim SLS (Salzburger Lesescreening; 3. & 5. Schulstufe; VS, NMS, AHS) zu erzielen? (vgl. hierzu in diesem Heft: Schopf). Es zeigt sich das staatliche Bemühen „[...] empirisch zu erfassen, was guter, weil optimierten Lern-‚Output’ produzierender Unterricht, was eine gute, weil eine gut geführte Schule sei. Dies wird freilich weniger dem Unterricht und der Schule selbst entnommen als dem vorgängigen Überzeugungsboden: einer Mischung aus psychometrischer Zergliederungskunst der hier hineinspielenden Variablen und Indices und dem universellen Heilmittel betriebswirtschaftlicher Steuerung [...]“ (Gruschka/Pollmans 2018, S.434).

Unterricht unter Bedingungen kapitalistischer Produktivitätslogik


Die Intention von SQA die Schule als öffentliche Einrichtung weiterzuentwickeln ist zwar als „hehr“ zu bezeichnen und keinesfalls als minder abzuwerten, aber es ist berufsethisch nicht akzeptabel, dass dieses Ansinnen davon geprägt ist, unter Bedingungen kapitalistischer Produktivitätslogik nahezu hektisch jene Wissensfaktoren ausfindig zu machen, die angeblich zur Verbesserung von Bildung und Unterricht beitragen auch weil leider „dem Faktum der prinzipiellen Begrenztheit der Möglichkeit, Schule und schulisches Lernen zu kontrollieren und zu steuern, momentan zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt [wird]; im Gegenteil, man gewinnt sogar den Eindruck, dass diese Realität insbesondere in Bildungspolitik und -verwaltung, immer wieder ausgeblendet wird. Die Steigerungsrhetorik des omnipräsenten Kompetenzdiskurses widerspiegelt auf institutioneller, administrativer, curricularer und evaluierter Ebene ein Bedürfnis nach Kontrollillusion, das zwar politisch bedeutsam, aber unter pädagogischer und professionstheoretischer Perspektive nicht überzeugt und kritisiert werden muss.“ (Reichenbach 2017, S. 15)
Menschen auf ihre (erwerbstätige) Funktion innerhalb einer kapitalistischen Marktgesellschaft zu trimmen, ist kein pädagogischer Ansatz, „sondern vielmehr ein ökonomisches Ziel und darf daher in einem Schulwesen, das neben seiner berufsbildenden Funktion immer auch den Auftrag zur allgemeinen Bildung sowie die Mündigkeit der heranwachsenden Generation im Auge behalten muss, nicht zum alleinigen Ziel werden“ (Leditzky 2009: 58). Die Schule als Anstalt zu verstehen, in der junge Menschen mit Fähigkeiten ausgestattet werden, die nur ihrer individuellen Handlungsperspektive zugute kommen, reduziert die Aufgabe der Schule: Die zeitgenössische „ […] marktförmige Instrumentalisierung der Schule ist auf mittel- und langfristiger Sicht ein Fehler […]“ (Reichenbach 2017, S.21) konstatiert Reichenbach.

Unterricht als unternehmerische Aktivität

In ihrem in Belgien bereits 2003 erschienen Text „Globale Immunität“ entwerfen Jan Masscheleien und Maarten Simons eine kleine Kartographie des europäischen Bildungsraums, die vom ökonomistischen Diskurs geprägt ist. In dessen Mitte erkennen sie den Lernenden als Unternehmer, der für sein Lernen und die Entwicklung seines Humankapitals selbst verantwortlich ist, um „sein oder ihr Potential und Kapital zu entfalten oder zu mehren“, (Masscheleien & Simons 2012, S. 18).  Es ist dem/der Lernenden selbst überlassen, unternehmerisches Selbst zu sein und dabei gleichzeitig sein/ihr eigener Unternehmer zu sein. Unter „Humankapital“ werden Fertigkeiten und Kompetenzen als wichtige Erklärungsfaktoren für „ […] Wirtschaftswachstum und sozialen Wohlstand in Anschlag […]“ (Masscheleien & Simons 2012, S. 23) gebracht:
„Hieran knüpft eine Auffassung über Unterricht an, in der Unterricht nicht mehr auf Wissenstransfer ausgerichtet ist, sondern sich auf das Anbieten von Lernumgebungen konzentriert, die den selbstständig zu vollziehenden Lernvorgang stimulieren und unterstützen“ (Masscheleien & Simons 2012, S. 16)
Wenn der Unterricht und das Lernen aber als unternehmerische Aktivitäten interpretiert werden, geht es schlicht um das Prinzip von Angebot und Nachfrage: Den Bedürfnissen der Abnehmer/innen entsprechend, gilt es Unterricht, Lehre, Kenntnisse und Kompetenzen bereit zu stellen. Diese Form von Antrieb als beständiger Selbstantrieb des unternehmerischen Selbst scheint auch der „Grundmotor“ für SQA zu sein, denn damit diese „Schulqualität Allgemeinbildung“ erfolgreich ist, braucht es „ […] ‚Ownership‘ und Partizipation: Gelebte Qualität kann nicht verordnet werden, sie wächst aus der Überzeugung von Menschen, die ein Ziel verfolgen, das sie als ihr eigenes betrachten. Dafür braucht es Dialog, Auseinandersetzung, Transparenz.“ (SQA 2016b, oA). Es hat den Anschein, als ob der top-down-Ansatz einen bottom-up-Ansatz verordnet, damit Qualität geschieht. An jedem Schulstandort wird demnach in Abstimmung mit der Schulaufsicht unter dem „Regime permanenter Evaluation“ (vgl. Pongratz 2009) bestimmt, was diese Qualität ausmacht. Schule versteht sich immer weniger als Institution denn als Organisation (unternehmerische und produktive Instanz), „ […]  wenn sie in anderen Akteuren in dieser Umgebung Interessierte oder Nachfragende erblicken, die Qualitätscharakteristika für die gelieferten Produkte anbieten“ (Masscheleien & Simons 2012, S. 65). Demgemäß wird der Lernprozess als Ertrag der Schulentwicklung selbst zum Objekt qualitativer Untersuchung, wobei „Qualität“ als ein strategischer und doch leerer Führungsbegriff erhalten bleibt: „Er ist leer, weil stets die Bereitschaft vorhanden sein muss, neue Bedürfnisse und damit auch neue Qualitätsindikatoren zu berücksichtigen. Dass er darüber hinaus strategisch ist, zeigt sich in der Tatsache, dass unternehmerische Schulen sich selbst im Namen der Qualität organisieren (oder besser gesagt fortwährend reorganisieren) und verwalten müssen“ (Masscheleien & Simons 2012, S. 65).

Unter dem Gesichtspunkt der Qualität wird die Schule permanent ökonomisch betrachtet; und wenn sie sich als Bildungseinrichtung tatsächlich „angesprochen“ fühlt, so handeln zu müssen, wird sie und die gesamte Bildungslandschaft lenkbar gemacht. Ohne die tatkräftige Mithilfe von Pädagog/innen wäre die neoliberale Inbesitznahme von Pädagogik und Bildungspolitik nicht möglich gewesen, kreidet Armin Bernhard (sich selbst? und) seinen Kolleg/innen an, und mahnt einen neuen Bildungsbegriff ein, der ein grundlegend anderes Professionsverständnis hat, denn derzeit helfen wir Pädagog/innen aktiv mit, „den entsprechenden Marketing-Charakter in Kindern herzustellen: instrumentelle, funktionalistische Haltungen zur Welt, zum eigenen Leben, aber auch zum eigenen Selbst, Haltungen, die vom Prinzip des Tauschs und Verkaufs der eigenen Persönlichkeit bestimmt sind. Wir treiben Kinder in einen sozialdarwinistischen Konkurrenzkampf hinein, und rüsten sie auch noch auf mit der Resilienzkompetenz, die für die Selbstbehauptung im kapitalistischen Haifischbecken benötigt wird“ (Bernhard 2017, S.13).
Dieser Schuleffektivitätsdiskurs macht aus der Schule ein Unternehmen am Markt von Angebot und Nachfrage; die Lehrer/innen sind Dienstleister/innen und die Schüler/innen sind ihre Kund/innen. Schulentwicklung wird zur Auftragserfüllung: Gemäß des Principle-Agent-Modells (vgl. Münch 2009) liegt die Bringschuld bei dem „Agent“ als Auftragnehmer, der vom „Principle“ (Auftraggeber) beauftragt, Schule zu entwickeln. Der „Principle“ (Auftraggeber) hat die Macht, die Schuld einzutreiben. Die Aufforderung an den Auftragnehmer, sich unternehmerisch zu verhalten und jede soziale Beziehung als eine transparente Regel, Norm, einen Vertrag oder eine Vereinbarung zu sehen, wirkt hierbei immunisierend, (Masscheleien & Simons 2012, S. 103). Immunisierung bedeutet, „genau zu bestimmen und (am liebsten vertraglich) festzulegen, was wir gemeinsam haben und was wir einander schuldig sind. Es bedeutet das Festlegen der Grenzen der Gemeinschaft und der Person (das Bestimmen einer Identität und Eigenheit) […]“, (Masscheleien & Simons 2012, S. 102). Die nicht aufhören wollenden Slogans vom „Leben als Lernprozess“ und vom „Studieren als produktive Praxis“ im Hinblick auf zu steigernde Erträge lassen keinen Raum für die Reflexion, was Bildung sein kann. Bildung als einen Austausch von Dienstleistungen erscheinen zu lassen, zeugt von keinem Verständnis dafür, Bildung aus einer autonomen, nicht infizierten Position rekonstruieren zu wollen (vgl. Masscheleien & Simons 2012, S. 112). Mit Bezug auf die Anerkennungstheorie von Axel Honneth erkennt Eva Borst: „Schulen und Hochschulen, die durchdrungen sind vom Konkurrenzgedanken und regelrecht infiziert sind vom Prinzip der Qualitätskontrolle, verhindern nicht nur systematisch die Anerkennung des oder der Anderen in ihrem So-Sein und Da-Sein, sie verzichten auch auf eine humanistische Bildung, deren Kern die Unverfügbarkeit ist“ (Borst 2008, S.200)
Der hier präferierte Bildungsbegriff setzt Erziehung und Unterricht nicht mit Erträgen und Fortschritt zur Qualitätssteigerung gleich. Es geht nicht um Angebot und Nachfrage, sondern um Mehrwert und Bedürfnisse (vgl. Masscheleien & Simons 2012, S. 119). Es geht nicht darum, Lehrer/innen Kontrollen und Zwängen auszusetzen, sondern ihnen nicht berechnendes und nicht berechnetes Vertrauen entgegenzubringen.

Was tun?


Schulentwicklung an jedem Schulstandort ist eine dringende Notwendigkeit, aber sie sollte nicht auf Basis evidenzbasierter Testergebnisse konzipiert werden. Lehrer/innen sollen im Zuge der Autonomie an ihrem Schulstandort in Absprache mit Erziehungsberechtigten und Schüler/innen selbst demokratisch entscheiden können, welche Problemfelder sie an ihrer Schule zum Gegenstand von Schulentwicklung machen wollen. Eine pädagogische Aufgabe für Schulentwicklung wäre es, sich damit zu beschäftigen, wie die Schule ein Ort werden kann, der sich nicht ausschließlich dadurch definiert, Individuen und Leistungen zu vergleichen, um ungleiche Zukunftschancen zu legitimieren, sondern ein Ort wird, wo genau dieses Unrecht zum Thema gemacht wird: „Solidarität“ ist für Honneth "reflexiv gewordener Affekt“, der auf emotionaler Zuwendung beruht, aber reflektiert in ein Handeln umgesetzt werden muss, (vgl. Honneth zit. n. Borst 2008, S.192). Schule sollte nicht der Ort sein, an dem die Bedürfnisse der oder des Einzelnen oder illegitime Praktiken institutioneller Demütigung ignoriert werden, sondern jener Ort des Schutzes sein, an dem es zur pädagogischen Praxis gehört, sich dem Anderen in seinem So-Sein und Da-Sein zuzuwenden, ihn zu unterstützen und dafür Sorge zu tragen, dass punktuell durchgeführte Testergebnisse nicht die Schulentwicklung bestimmen und auch nicht dazu verwendet werden, ungleiche Zukunftschancen im Bildungsweg von sozio-ökonomisch und sozio-kulturell schlechter gestellten Schüler/innen zu legitimieren. So ist es Ziel der Anti-Bias-Arbeit, im Zuge von Schul- und Unterrichtsentwicklung Diskriminierungen aufzuspüren und mit einer diskriminierungskritischen Pädagogik zu beginnen, die sich damit beschäftigt, Werte wie Wertschätzung für sich und andere zu entwickeln und sich der Würde jedes einzelnen Menschen bewusst zu werden: „Es geht darum, den eigenen Einflussbereich der Pädagog_innen bewusst zu machen und zu erkennen, wie wir alle in Machtverhältnisse verstrickt sind“ (Anti-Bias 2016, S. 43). Ziel von Schul- und Unterrichtsentwicklung die Menschenrechtsbildung achtet, sollte es sein, dass Lehrer/innen sich am jeweiligen Schulstandort damit auseinandersetzen, wie ihre Schule ein Ort sein kann, in dem individuelle Begabungen von Schüler/innen erkannt und gefördert werden, und wo es Ziel ist, den Schüler/innen die Freude am Können und Lernen zu vermitteln. Es geht schließlich nicht um den Marktwert einzelner Schüler/innen, sondern um die grundlegende und ausgewogene Bildung und Erziehung von jungen Menschen im sozialen, emotionalen, intellektuellen und körperlichen Persönlichkeitsbereich.

Dieser Text erschien in leicht abgeänderter Form wie folgt: Rainer Hawlik (2018). Muss Schulentwicklung tatsächlich evidenzbasiert geschehen? Einsprüche gegen das vorherrschende Bildungsverständnis bei SQA (Schulqualität Allgemeinbildung). In: schulheft (170), S.85-S.94

Literatur


Anti-Bias (Hg.) (2016): Vorurteilsbewusste Veränderungen mit dem Anti-Bias-Ansatz. Freiburg: Lambertus

Bernhard, A. (2017): Über das neoliberale Bildungsverständnis, Vortragsmanuskript des Autors zur Vorlesung an der Pädagogischen Hochschule Wien am 13.11.2017.

BMB (2016): BMBF-20.300/0012-I/5/2016: Rundschreiben Nr.: 6/2016, Schulentwicklung mit SQA - Schulqualität Allgemeinbildung: Richtlinien für die Schuljahre ab 2016/17 (23. März 2016).

BMBWF (2018): Bildungswesen in Österreich, https://www.bmb.gv.at/schulen/bw/index.html (18. Januar 2018)

Borst, E. (2008): Theorie der Bildung. Bartmannsweiler: Schneider

Foucault, M. (2007): Die Ordnung des Diskurses. Frankfurt am Main: Fischer TBV

Gruschka, A und Pollmans, M. (2018): Schulpädagogik. In: Bernhard, A. et al. Handbuch Kritische Pädagogik. Weinheim: Beltz. S. S.431 – S.451

Leditzky, C. (2009): Qualitätsmanagement an Schulen – da steckt System dahinter! In: schulheft, 64. Jg, Nr. 136, S.54-S.80

Masscheleien, J.  und Simons, M. (2012): Globale Immunität. Zürich: Diaphanes

Münch, R. (2009): Das Regime des liberalen Kapitalismus. Inklusion und Exklusion im neuen Wohlfahrtsstaat. Campus: Frankfurt

Pongratz L.A. (2009): Bildung im Bermuda-Dreieck. Paderborn: Schöningh

Reichenbach, R. (2017): Warum pädagogische Theorie der Schule? In: Reichenbach, R.  und Bühler, P. (Hrsg.): Fragmente zu einer pädagogischen Theorie der Schule. Weinheim: Beltz Juventa, S. 10-S.31

Sarrazin, T. (2010): Deutschland schafft sich ab. Berlin: DVA

SQA (2016): Rollen und Aufgaben in SQA, http://www.sqa.at/course/view.php?id=184, (18. Januar 2018)

SQA (2016a): Wozu Schulentwicklung?, http://www.sqa.at/course/view.php?id=179, (18. Januar 2018)

SQA (2016b): Qualitätsentwicklung – aber wie? Worauf es ankommt, http://www.sqa.at/course/view.php?id=183 ,(18. Januar 2018)

SQA (2016c): Liste der thematischen SQA-Partner/innen, http://www.sqa.at/mod/data/view.php?d=27, (18. Januar 2018)






[1] Hier stehen Themen wie z.B. „Gesundheitsförderung“, „Bewegung“, „Medienbildung“, „Lesen“, „Verbraucherbildung“, „Begabungs- und Begabtenförderung“ und „Mehrsprachigkeit“, (SQAc 2016, oA) zur Verfügung. 



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